Das „Mördervolk“, das nicht zahlen wollte: Otto Küster setzte sich für die Holocaust-Entschädigungen ein
Update: 2025-10-07
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Als Richter wurde Otto Küster von den Nationalsozialisten 1933 entlassen. Nach dem Krieg leitete er die Wiedergutmachungsbehörde in Baden-Württemberg. Heute ist Otto Küster ziemlich vergessen – zu Unrecht. Das zeigt ein Forschungsprojekt der niederländischen Universität Utrecht, das Küsters Tagebücher digitalisiert und auswertet.
Die Dokumente, die Lorena De Vita, Professorin für Internationale Beziehungen an der Uni Utrecht ausgewertet hat, zeigen: Küster war ein genauer Beobachter. Insgesamt 118 Notizbücher hat der gebürtige Stuttgarter per Hand vollgeschrieben.
„Das erste Tagebuch stammt aus dem Jahr 1932. Und Küster schrieb weiter – bis nur wenige Tage vor seinem Tod 1989“, erklärt De Vita.
Für ihre Veröffentlichung in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ hat die Forscherin die Phase von 1952 bis 53 gewählt, als die Bundesrepublik, Israel und die Jewish Claims Conference über eine Wiedergutmachung für Holocaust-Überlebende verhandeln.
Küster war damals stellvertretender Leiter der deutschen Delegation. Seine Tagebücher werfen erstmals Schlaglichter auf die Gefühle der deutschen Seite – etwa bei der ersten Sitzung am 21. März 1952: „Küster beschrieb zum Beispiel die Emotionen, die er empfand, als er im Verhandlungsraum war und darauf wartete, dass die israelische Delegation hereinkam. Ein extrem angespannter Moment“, sagt De Vita.
Die Eintragungen über das Geschehen im niederländischen Wassenaar bei Den Haag zeigen, wie emotional belastend das Feilschen um Millionensummen für die deutschen Verhandler war. Zumal Küster und sein Delegationschef Franz Böhm Gegenwind von Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU) erhalten. Der weiß: Eine große Mehrheit im Land lehnt Zahlungen an Israel ab.
Noch Jahrzehnte später erzählte Küster dazu in einem Radio-Interview: „Ich bekam auch die entsprechenden Briefe. ‚Der Laternenpfahl steht schon fest, an dem Sie hängen werden'. Wir sind auch im Haag, Böhm und ich, Gegenstand einer Sendung geworden, die glücklicherweise von unserem Pyrotechniker vorgeprüft worden war und also den entsprechenden Sprengstoff enthielt. Aber das war halt alles eben so.“
Nach knapp zwei Monaten hat Otto Küster genug von der Opposition im eigenen Lager – über seinen Rücktritt als Delegationsmitglied schreibt er im Tagebuch: „Nur im Abgehen bekenne ich das Gefühl brennender Scham, einem Volk anzugehören, dessen Regierung ihm bei einem Etat von 20 Milliarden nicht zuzumuten wagt, 100 Millionen für die Wiedergutmachung dieses Unrechts aufzubringen.“
Allerdings beobachtet Küster das Geschehen weiter, bis das sogenannte „Luxemburger Abkommen“ fertig ist und der Bundestag zustimmt. Es fällt auf, dass er in seinen Notizen stets von einem „Sühnevertrag“ schreibt.
Juristisch ein Rückgriff auf mittelalterliches Recht, aber Lorena De Vita betont auch die moralische Seite: „Küster war Protestant und er interessierte sich auch für Theologie. Und das Wort ‚Sühne' verwies für ihn auch auf Sühne im Sinne von Buße und Versöhnung.“
Staatsbeauftragter für Wiedergutmachung in Baden-Württemberg bleibt Otto Küster noch bis 1954 – dann wird er der Regierung zu unbequem und arbeitet wieder als Rechtsanwalt. 1985 erhält er als erster die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Seine handschriftlichen Tagebücher sind zurzeit noch im Familienbesitz, sollen aber möglicherweise bald ins Landesarchiv Baden-Württemberg kommen.
Die Dokumente, die Lorena De Vita, Professorin für Internationale Beziehungen an der Uni Utrecht ausgewertet hat, zeigen: Küster war ein genauer Beobachter. Insgesamt 118 Notizbücher hat der gebürtige Stuttgarter per Hand vollgeschrieben.
„Das erste Tagebuch stammt aus dem Jahr 1932. Und Küster schrieb weiter – bis nur wenige Tage vor seinem Tod 1989“, erklärt De Vita.
Verhandlungen über Wiedergutmachung für Holocaust-Überlebende
Für ihre Veröffentlichung in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ hat die Forscherin die Phase von 1952 bis 53 gewählt, als die Bundesrepublik, Israel und die Jewish Claims Conference über eine Wiedergutmachung für Holocaust-Überlebende verhandeln.
Küster war damals stellvertretender Leiter der deutschen Delegation. Seine Tagebücher werfen erstmals Schlaglichter auf die Gefühle der deutschen Seite – etwa bei der ersten Sitzung am 21. März 1952: „Küster beschrieb zum Beispiel die Emotionen, die er empfand, als er im Verhandlungsraum war und darauf wartete, dass die israelische Delegation hereinkam. Ein extrem angespannter Moment“, sagt De Vita.
Der israelische Konsul führt uns in das schmale Konferenzzimmer. Unsere Plätze sind an der Seite, die weiter als die andere von der Tür entfernt ist. Wir bleiben stehen, bis die Gegenseite kommt, die bei dieser Anordnung nicht an uns vorbei braucht. Wir finden es angemessen für eine Begegnung zwischen Verwandten von Ermordeten mit dem Mördervolk, sei dies auch durch persönlich schuldlose Leute vertreten.Quelle: Otto Küster, Wassenaar, 1952
Die Eintragungen über das Geschehen im niederländischen Wassenaar bei Den Haag zeigen, wie emotional belastend das Feilschen um Millionensummen für die deutschen Verhandler war. Zumal Küster und sein Delegationschef Franz Böhm Gegenwind von Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU) erhalten. Der weiß: Eine große Mehrheit im Land lehnt Zahlungen an Israel ab.
Noch Jahrzehnte später erzählte Küster dazu in einem Radio-Interview: „Ich bekam auch die entsprechenden Briefe. ‚Der Laternenpfahl steht schon fest, an dem Sie hängen werden'. Wir sind auch im Haag, Böhm und ich, Gegenstand einer Sendung geworden, die glücklicherweise von unserem Pyrotechniker vorgeprüft worden war und also den entsprechenden Sprengstoff enthielt. Aber das war halt alles eben so.“
Nach knapp zwei Monaten hat Otto Küster genug von der Opposition im eigenen Lager – über seinen Rücktritt als Delegationsmitglied schreibt er im Tagebuch: „Nur im Abgehen bekenne ich das Gefühl brennender Scham, einem Volk anzugehören, dessen Regierung ihm bei einem Etat von 20 Milliarden nicht zuzumuten wagt, 100 Millionen für die Wiedergutmachung dieses Unrechts aufzubringen.“
„Sühnevertrag“ der Nachkriegszeit?
Allerdings beobachtet Küster das Geschehen weiter, bis das sogenannte „Luxemburger Abkommen“ fertig ist und der Bundestag zustimmt. Es fällt auf, dass er in seinen Notizen stets von einem „Sühnevertrag“ schreibt.
Juristisch ein Rückgriff auf mittelalterliches Recht, aber Lorena De Vita betont auch die moralische Seite: „Küster war Protestant und er interessierte sich auch für Theologie. Und das Wort ‚Sühne' verwies für ihn auch auf Sühne im Sinne von Buße und Versöhnung.“
Staatsbeauftragter für Wiedergutmachung in Baden-Württemberg bleibt Otto Küster noch bis 1954 – dann wird er der Regierung zu unbequem und arbeitet wieder als Rechtsanwalt. 1985 erhält er als erster die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Seine handschriftlichen Tagebücher sind zurzeit noch im Familienbesitz, sollen aber möglicherweise bald ins Landesarchiv Baden-Württemberg kommen.
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