Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIII) – Heute: „Kaltstart-Akte“, „Ladehemmung“, „Leben“ und „meinem Herzen folgen“
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Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. Von Leo Ensel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Kaltstart-Akte
„Versetzen Sie sich in folgende Lage“, bittet die Bundeswehr ihre Soldatinnen und Soldaten: Der berühmte „Ernstfall“ –Tag X – steht bevor. Ein Angriff droht, binnen 48 Stunden muss man im 600 Kilometer entfernten „Bereitstellungsraum“ sein. Was tun mit Kindern, Pflegebedürftigen, Hund, Bankkonten, Instagram-Passwort und Alarmanlagen-Code? Und was, wenn es ein „Trip with no return“ wird? – Die zeitgemäße Lösung: die „Kaltstart-Akte“. Laut Wehrbeauftragter Eva Högl „eine gute Grundlage, um frühzeitig Regelungen für den Ernstfall zu treffen“. Testament, Patientenverfügung, Sorgerechtsfragen – all inclusive! (Passwörter zu Social-Media-Profilen und E-Mailfächern, Zugänge zu Bankkonten und Versicherungen oder Codes für Alarmanlagen an Haus oder Wohnung nicht zu vergessen.) Über den eigenen Tod nachzudenken, falle zwar schwer. „Jedoch ist eine gewisse Vorbereitung unabdingbar, um Familie und Freunde in schweren Zeiten zu entlasten.“ – Der Haken an der Sache: Wer „kalt“ ist, kann schlecht nochmal „starten“. „Body bag“ für alle Fälle schon mal mitnehmen! (By the way: Herzlichen Dank für dieses Juwel, lieber Herr Blenz!)
kleptokratisches Mafiaregime
Ist aus Sicht von Stefanie Babst natürlich Russland. Am 14. August 2025 deklamierte sie im „DLF-Morgenmagazin”: „Unser europäisches Ziel kann nur sein, dieses kleptokratische Mafiaregime in Moskau in die Schranken zu verweisen, die Ukraine wirklich in ihrer territorialen Integrität und staatlichen Souveränität mit allen Mitteln, die wir haben, zu unterstützen und zu stärken.“ (vgl. „blutrünstiges Regime“, „brutaler Mafiaboss“)
Kollateralschaden
Nennt man bei „militärischen Spezialoperationen“ – pardon: „Militäreinsätzen“ – der eigenen Seite versehentlich getötete Zivilisten des Gegners. Im umgekehrten Falle sind das selbstverständlich „Kriegsverbrechen“!
Kreml-Chef
„Vor dem Treffen zwischen White House-Chef Trump und Präsident Putin beraten heute mehrere europäische Staaten mit den USA über eine gemeinsame Linie in der Ukraine-Politik“, meldete der Deutschlandfunk in seinen Nachrichten am 13. August 2025 um 6:00 Uhr morgens. – Oh, sorry, da ist mir ein Fehler unterlaufen: Es muss natürlich „Vor dem Treffen zwischen US-Präsident Trump und Kreml-Chef Putin“ heißen! (Ganz bestimmt!!) (vgl. „Machthaber“)
Krieg
Heißt: Töten! Andere Menschen.
kriegstauglich
„Zeitenwende in der Medizin: Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern sollen ‚kriegstauglich‘ werden“, titelte die unlängst die Ostssee-Zeitung. Motto: Tüchtig die Männer – pardon: Menschen –, tauglich das Gerät, untauglich (besser: unnötig; noch besser: störend) dagegen zivile Patienten! Was allerdings noch einer gewaltigen organisatorischen, finanziellen und mentalen Kraftanstrengung unserer gesamten Gesellschaft bedarf. Denn, wie das bereits mehrfach erwähnte „Grünbuch“ moniert: Die Zivilbevölkerung ist leider noch nicht nicht ausreichend darauf vorbereitet, im Kriegsfall den Nachrang hinter Soldatinnen und Soldaten haben zu müssen. Und genau dafür braucht es nun eine entsprechende „Kommunikationsstrategie“! (vgl. „Drehscheibe Deutschland“, „Größenordnung“, „Mentalitätswechsel“, „strategische Kommunikation“, „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“)
Kultur der militärischen Zurückhaltung
„Er betonte, dass deutsche Truppen, die jahrelang eine Kultur der militärischen Zurückhaltung als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs pflegten, bereit wären, im Falle eines Angriffs Moskaus auf einen Nato-Mitgliedstaat russische Soldaten zu töten.“ Die Rede ist vom Interview, das Boris Pistorius der Financial Times am 13. Juli 2025 gewährte. Offenbar ist nun die von deutschen Truppen (!) jahrzehntelang aus guten Gründen gepflegte „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ – mit voller Billigung des Kriegstüchtigkeitsministers, der hier verbal mit gutem Beispiel vorangeht – endgültig ad acta gelegt. Mit anderen Worten: Kultur weicht Einsatz-, nein: Tötungsbereitschaft. Und deutsche Truppen verlieren endgültig (und mit höchsten Segen) ihre allerletzten Beiß- und Ladehemmungen…
Kulturwandel
Freunde, Kamerad:innen, Genoss*innen: Die geforderte „kulturelle Umprogrammierung“ schreitet in atemberaubendem Tempo voran! Mittlerweile hat sie, was allerdings keinen mehr wundert, endlich auch die sich immer noch als „links“ – was immer das heutzutage bedeuten mag – verstehende taz erreicht: „Es war Boris Pistorius, der aktuelle Verteidigungsminister (SPD), der ‚kriegstüchtig‘ erstmals offensiv benutzt hat und damit einen Kulturwandel der Deutschen semantisch voranbringen will, der ihm angesichts des russischen Angriffskrieges und des unsicher gewordenen Schutzes durch die USA notwendig erscheint.“ Lobt, nicht gerade Frieden stiftend, Chefreporter Peter Unfried. Der vom Kriegstüchtigkeitsminister „semantisch vorangebrachte Kulturwandel“ – das scheint der avantgardistische Unfried nicht ganz verstanden zu haben – ist allerdings ein Wandel zur blutigen Unkultur, sprich: zur Barbarei! (Wie das Sloterdijk‘sche „Glück“, endlich wieder „echte Feinde“ zu haben…)
Ladehemmung
Hatte laut Rüstungslobbyistin Agnes Strack-Zimmermann (Cum)-Ex-Kanzler Scholz. Weil er nicht auf Kommando Panzer in die Ukraine liefern und statt dessen erstmal über die möglichen Folgen nachdenken wollte. (Später wurde er dann, wie fast immer, – lobenswerte Ausnahme: Taurus – doch hemmungsloser und lieferte nicht nur eine Ladung Panzer!)
langfristig stabiles Beschaffungsmodell
„Verteidigungsminister Boris Pistorius verlangt von der deutschen Rüstungsindustrie mehr Tempo und Einsatz. ‚Es gibt keinen Grund mehr zu klagen‘, sagte er im Interview mit der Financial Times. ‚Die Industrie weiss ganz genau, dass sie jetzt für die Umsetzung verantwortlich ist.‘ Nach milliardenschweren Zusagen der Regierung müsse die Branche jetzt liefern – bei Munition, Drohnen, Panzern und mehr. Ziel sei ein langfristig stabiles Beschaffungsmodell, um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auf konstant hohem Niveau zu halten.“ – Aufrüstung mit Excel-Charme. Was nach solider Etatplanung im Behördenjargon klingt, ist in Wirklichkeit die Institutionalisierung permanenter Rüstungsproduktion. Kein Ausnahmezustand, kein Sondervermögen, keine Ad-hoc-Maßnahmen mehr, sondern – „whatever it takes“ – kontinuierlicher Rüstungsfluss als Normalzustand. Verteidigungsfähigkeit, nein: Kriegstüchtigkeit als Dauerauftrag. Und schleichender Übergang von „nicht mehr Frieden“ zu „noch nicht (?) Krieg“!
Leben
„Endlich kommt Leben in die Bundeswehr“, jubelt das Handelsblatt. „Investoren geben Rekordsummen für Start-ups in der Verteidigung.“ – Dialektisch formuliert: Leben fürs Töten! Und durchs Töten.
lehrreiches Testgebiet
„Die Ukraine ist für die Vertreter deutscher Rüstungsunternehmen – Hersteller von Luftabwehrsystemen, Artillerie, Drohnen – zu einem lukrativen Geschäfts- und lehrreichen Testgebiet geworden.“ Plauderte Deutschlandfunk-Journalist Stefan Detjen am 1. Juli 2025 angesichts des Besuchs von Außenminister Wadephul und namhafter deutscher Rüstungsvertreter in Kiew dankenswerterweise aus dem Nähkästchen. „Ich glaub, man ist am Puls der Zeit“, lässt Detjen Sven Kruck (Motto: „Sei authentisch, arbeite hart und tu es“) von Quantum Systems ins Mikrophon sprechen. Der bayerische Drohnenentwickler verfügt bereits über drei Produktionsplätze in der Ukraine. Ein weiterer soll bald hinzukommen. „Das ist der Wandel, der jetzt vollzogen wird: Die Rüstungsindustrie“, jubiliert Kruck, „wird erst jetzt wieder zu einer richtigen Industriesparte!“ Am Ende, so Kruck, würden auch Deutschland und Europa von den Erfahrungen profitieren, die Rüstungsunternehmen wie Quantum Systems, Helsing, Diehl oder MDBA in der Ukraine sammeln. – Und noch einmal zum Mitschreiben: Di



