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Harte Kost von Kirill Serebrennikov: „Das Verschwinden des Josef Mengele“ mit August Diehl

Harte Kost von Kirill Serebrennikov: „Das Verschwinden des Josef Mengele“ mit August Diehl

Update: 2025-10-21
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30 Jahre auf der Flucht


„Der Krieg endet für jeden zu einer anderen Zeit,“ sagt Josef Mengele im Film. Für ihn selbst wird der Zweite Weltkrieg bis zu seinem Tod weitergehen, denn der ehemalige Lagerarzt von Auschwitz ist ein Mann auf der Flucht. Bruchstückhaft folgt ihm der Film von Argentinien über Paraguay bis nach Brasilien, wo er 1979 bei einem Badeunfall stirbt.
Mithilfe eines Netzwerks von Sympathisanten, verschiedener Decknamen und finanziert von seiner bayerischen Unternehmerfamilie gelingt es Mengele, sich 30 Jahre in Südamerika vor der Justiz zu verstecken. Sein sozialer Abstieg schreitet allerdings mit jeder Station voran. In der Hütte von Sao Paolo, seiner letzten Behausung, erscheint der Besuch in der Familienvilla 1956 sehr weit weg.

Unbehelligtes Leben für deutsche Kriegsverbrecher in Südamerika


Wie skandalös unbehelligt deutsche Kriegsverbrecher in Südamerika lange leben konnten, das fängt Regisseur und Drehbuchautor Kirill Serebrennikov gut ein. „Das Verschwinden des Josef Mengele“ inszeniert er als atmosphärisch dichten schwarz-weiß-Film im Stil des Film Noir.
Umso verstörender sind die wenigen Stellen, an denen er Farbe verwendet – ausgerechnet für die Erinnerungen an Auschwitz. Durch Mengeles Augen betrachtet, verwandelt sich die Lagerhölle in ein sonnendurchflutetes Liebesidyll mit Badesee, das sehr an Jonathan Glazers „The Zone of Interest“ erinnert.

August Diehl entwirft das Psychogramm eines Unbelehrbaren


Zum Einsatz bringt Serebrennikov diese nostalgischen Erinnerungen in dem Moment, als Mengeles Sohn Rolf den Vater 1977 in Sao Paulo besucht und von ihm Antworten zu dessen Rolle in Auschwitz fordert.
August Diehl in der Hauptrolle bietet eine grandiose Performance. Über den Zeitraum von drei Jahrzehnten entwirft er das Psychogramm eines Unbelehrbaren, der sich keiner Schuld bewusst ist. Eine mediokre Gestalt, besessen von der Idee einer Herrenrasse, zu der er sich selbstverständlich zählt, anders als all die anderen um ihm herum. Mal aufbrausend, mal weinerlich gibt er sich ganz dem Selbstmitleid hin. 

Serebrennikov mutet dem Publikum harte Kost zu


Dass Mengeles Erinnerung an Auschwitz grotesk verzerrt ist, illustriert Serebrennikov in einer wie ein privater Amateurfilm gestalteten Sequenz, die auch das Verdrängte zeigt: zum Beispiel wie er lachend die Gefangenen ins Gas schickt. Oder wie er seine Menschenexperimente stolz vorführt und erklärt.
Es ist harte Kost, die Serebrennikov dem Publikum zumutet. Und wie bei jedem Film, der das Grauen der Konzentrationslager nachinszeniert, stellt sich die Frage, ob diese Fiktionalisierung statthaft ist.
Durch die doppelte Brechung als Film im Film wirkt es in „Das Verschwinden des Josef Mengele“ auf jeden Fall nicht naiv oder geschmacklos, sondern wie eine sehr bewusste Setzung. Der Film ist ein starkes Statement gegen das Verdrängen. Er wirft die Frage auf, ob es Gesellschaften heutigen Kriegsverbrechern immer noch so leicht machen würden, ihrer Strafe zu entkommen.  

Trailer „Das Verschwinden des Josef Mengele“ ab 23.10. im Kino

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