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Irene Dische – Prinzessin Alice

Irene Dische – Prinzessin Alice

Update: 2025-10-19
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Taubstumm, verliebt in Gott und äußerst leidenschaftlich, so lernt man in Irene Disches schmalem, aber dichtem Roman die Prinzessin Alice von Battenberg kennen. Sie war die Urenkeltochter von Queen Victoria, Schwiegermutter von Queen Elizabeth II. und Großmutter des heutigen Königs Charles III.: 

Die Prinzessin erreichte ihren Höhepunkt im Gebet, und dabei ging es laut zu. Einfache Gemüter schlossen daraus, sie müsse sich wohl den nackten Jesus vorstellen, wie er sich erregt an sie drückte und ihr ins Ohr seufzte. 

Quelle: Irene Dische – Prinzessin Alice



Lust am Leben 


Man wird sich zunächst wundern über diese Frau, die hier nicht vermittelt durch eine Erzählstimme, sondern aus der Ich-Perspektive spricht, in einem naiv-frischen, unmittelbaren Ton. Verheiratet mit Andreas, Prinz von Griechenland, mit ihm hat sie fünf Kinder.
Am Beginn des Romans schreibt man das Jahr 1922. Die Familie hat die bisherige Heimat Griechenland nach einem Staatsstreich verlassen müssen. Die Mutter kommt mit den Kindern in Paris bei ihrer Schwägerin Marie Bonaparte unter, wo sie die Familie durch den Verkauf von Stickereien, Spitzen und Gemälden über Wasser hält.
Die Prinzessin, deren Intelligenz und Schönheit nach der Flucht aus Griechenland wenig gelitten haben, freut sich auch unter widrigen Umständen des Lebens und ihrer Lust und betet sich regelmäßig bis zum Orgasmus in Ekstase, wobei sie göttliche Botschaften zu empfangen glaubt:

Falls es ihnen nicht klar sein sollte: Gott hat keine Stimme. Sie können Gott auf zahllose Arten hören, nicht zuletzt in den Geräuschen, die ihr Körper von sich gibt und die sie selbst nicht kontrollieren können. Die sind nämlich keineswegs beliebig. Hören Sie ihnen genau zu und entschlüsseln Sie sie.

Quelle: Irene Dische – Prinzessin Alice



Perfide Pläne 


Währenddessen plant die frigide Marie Bonaparte, verheiratet mit dem schwulen Prinzen Georg und Schülerin von Siegmund Freud, eine Perfidie: Alice soll sterilisiert, in eine psychiatrische Klinik gebracht, von ihren Kindern getrennt werden. Der Plan geht auf.  

Jetzt kam mit hastigen Schritten der Doktor herein. Er verströmte Ungeduld. Beäugte mich, sein hilfloses, nacktes Opfer. In der Hand hielt er einen Stift, aus dem rote Tinte floss, damit malte er zwei kleine Kreise auf meinen Unterleib, einen auf jede Seite. Die Tintenflecke, die er dabei überall verteilte, störten ihn nicht. Der lange Hals der Maschine schwang zu mir hin.

Quelle: Irene Dische – Prinzessin Alice



Unvorstellbar ist das Leid, das die Schwägerin der Prinzessin antut, sei es aus Neid, sei es aus falschem Erkenntnisinteresse. In die Psychiatrie verbracht, wird Alice ruhiggestellt und vegetiert dahin, bis sie sich verliebt. Doch auch diese Verliebtheit steht unter keinem guten Stern.
Prinzessin Alice flieht schließlich aus der Klinik. Sie gibt sich als Nonne aus und kehrt nach Athen zurück, wo die Monarchie inzwischen wiederhergestellt ist, um einen Orden zu gründen und eine Suppenküche zu eröffnen. 

Ich bezahlte die Jahresmiete für ein heruntergekommenes Ladenlokal in dem verarmten Viertel, auf das ich nur eine Straße vom Palast entfernt gestoßen war. In meiner Küche gab es Töpfe genug, um für eine große Anzahl Unglücklicher zu kochen.

Quelle: Irene Dische – Prinzessin Alice



Royaler Glamour und Sigmund Freud 


Man kann auf irritierende Weise fasziniert sein von der Bewegtheit dieses Lebens und der unverbrüchlichen Kraft, mit der sich Prinzessin Alice allen Widrigkeiten und Schicksalsschlägen widersetzt, sich aufrappelt. Sie wirkt hier ganz und gar nicht verrückt, im Gegensatz zu großen Teilen der königlichen Verwandtschaft, die Irene Dische in weiten Teilen überspannt und lebensuntauglich schildert.
Ein wenig mit dem royalen Glamourfaktor kokettierend und Sigmund Freuds Lehre deutlich kritisierend, gelingt dem Roman in kluger, mit Tiefe gepaarter Leichtigkeit etwas Feines: Er rückt Prinzessin Alice in ein anderes, helleres Licht.
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