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Kaska Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich

Kaska Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich

Update: 2025-10-21
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Description

Der Vater, ein polnischer Widerstandskämpfer, überlebte von 1945 bis 1948 drei Jahre in einem stalinistischen Gulag. Die Tochter überlebte im Jahr 2020 ihre Corona-Infektion, zusammen mit einer jungen Krähe, die sie großzog. Die Tochter ist die zwischen Wien und Warschau aufgewachsene Schriftstellerin Kaśka Bryla.
Ihr Vater Zygmunt Bryla starb 2009. Ihm und sich selbst hat sie ihr Buch „Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich“ gewidmet, nachdem sie in den Jahren vor seinem Tod längere Gespräche mit ihm geführt hatte, die nun als seine Erzählungen den interessanteren Teil dieser merkwürdigen Zusammenstellung ausmachen.  

Verdämmernde Gedanken 


Alles an diesem Buch ist autobiographisch, auch die Freundschaft mit der Krähe Karl. Sie dient der Autorin mehrfach als Spiegel ihrer eigenen Situation. Beide sind krank. Die Krähe ist am Flügel verletzt, kann nicht fliegen und muss gefüttert werden. Kaśka Bryla ist lesbisch, litt zu dieser Zeit an Long Covid und lebte auf einem Wagenplatz in Leipzig, wo sie im Liegenstuhl vor sich hindämmerte. Vielleicht macht diese Lage die Gedanken so unscharf.  

Eigentlich sind queere Menschen in dieser Gesellschaft so wenig vorgesehen wie kranke Tiere in der Wildnis, wir sind der Auswurf eines momentanen Lapsus, wahrscheinlich möchte ich deshalb so sehr, dass es Karl schafft, um der Welt etwas zu beweisen.

Quelle: Kaśka Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich



Auch in der Tatsache, dass das Geschlecht einer Krähe nur schwer zu bestimmen ist und Karl durchaus auch ein Weibchen sein könnte, erkennt die Autorin sich selbst:  

Als würden alle Lebewesen mit Flügeln denselben Gesetzmäßigkeiten folgen, als wäre ich, seitdem mir Brüste gewachsen sind und monatlich Blut aus mir fließt, automatisch eine Frau. 

Quelle: Kaśka Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich



Derlei Kurzschlüsse mögen noch erträglich sein. Unangemessen und geschmacklos wird es, wenn auch das Schicksal des Vaters im Gulag der Tochter als Spiegelbild der eigenen Befindlichkeit dient. Nicht nur ihre Erkrankung schließt sie mit dessen Überlebenskampf kurz, sie sieht sich so wie ihn als Widerstandskämpferin.
Doch während er als Patriot zuerst gegen die Nazis und dann gegen die Kommunisten für ein unabhängiges, demokratisches Polen kämpfte, geht es ihr um eine „offene Gesellschaft“, in der sie als queere Person „so sein kann wie ich will“. Das ist schon deshalb nicht dasselbe, weil der Vater tatsächlich bereit war, sein Leben „für Polen“ zu opfern, während es der Tochter um sich selbst und ihre Minderheitenrechte geht.  

Schreiben als Aufblasen eines Luftballons 


Auch wenn sie dazwischen kein Gleichheitszeichen setzt, ist ihr Montage-Verfahren so angelegt, dass Krankheit, Lesbentum, Genderfragen, Widerstand, Gulag und ein Herz für Tiere miteinander eine literarische Verbindung eingehen, die durch nichts gedeckt ist.
So kommt es auch sprachlich zu peinlichen Ausfällen, wenn es etwa heißt, dass Stalin seine „Gulags über ganz Russland verstreute wie Puderzucker über einen Gugelhupf.“ Da wundert es dann auch nicht mehr, dass die Tochter dem Vater widerspricht, wenn er ihr Schreiben mit einem Puzzlespiel vergleicht. 

Die Herstellung dieses Manuskripts gleicht eher dem Aufblasen eines Ballons, antworte ich, immer wieder muss ich Pausen machen, um Luft zu holen, dann puste ich weiter, manchmal entweicht Luft, manchmal blase ich und es tut sich nichts, meine Lunge ist schwach.

Quelle: Kaśka Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich



Das Ergebnis dieser Herstellungstechnik ist eine stilistische Aufgeblasenheit, die sich im Vermeiden von Punkten manifestiert. Die ersten Kapitel bestehen aus einem einzigen Satz oder vielmehr aus der Aneinanderreihung von Sätzen, die durch Kommata anstelle von Punkten voneinander getrennt sind.
Mit der Sache hat das nichts zu tun. Zur Kurzatmigkeit einer an den Coronafolgen Leidenden würden kurze Sätze mit längeren Atempausen viel besser passen. Aber das ist noch das kleinste Problem an dieser zusammengeschusterten Arbeit.
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